StringART   by  Ursula  Stirnimann C
Der Trompeter, 1990
Weg der Erkenntnis, 1991
Der Balanceakt, 1991
Mittelpunkt Erde, 2005
Buddha, 2002
Kommunikation, 1991
Der Narr, 1992
Das Urtier, 1992
Der Traumtänzer, 1992
by Meyer- Stirnimann, 2023
Wie ich zum Bettler wurde So wie sich die Zeit einer Reifung erfüllt hat und eine Frucht, sofern sie nicht gepflückt wird, auf die Erde fällt, so werden sich für Jene, die sich getrieben fühlen vom Wunsch nach Erkenntnis der letzten, unveränderbaren Wahrheit, Türen für mannigfaltige Erfahrungen öffnen. Denn es sind keine Verheißungen - sondern Erfahrungen, die dem Sinnsuchenden die Gewissheit verleihen, auf dem für ihn richtigen Weg zu sein. So geschehen vor vielen Jahren während eines langen Aufenthaltes in einem fernen Land. Zu jener Zeit hatte ich, mehrfach täglich, ein für Fußgänger nur schmales Stück zwischen einer sehr stark befahrenen Straße und einem daneben befindlichen breiten Seitenstreifen, auf dem zwischen Müll und dürrem Gestrüpp etliche Bettler ihre Bleibe gefunden hatten, zu gehen. Dass mir das nicht sonderlich angenehm war, lag nicht nur an dem schier unerträglichen Lärm des Verkehrs und den Staubwolken, in die ich immer wieder eingehüllt wurde, sondern auch mit daran, dass mein regelmäßiges Erscheinen offenbar auch Hoffnungen und Begehrlichkeiten bei jenen weckte, die allgemein zu einer dieser unseligen untersten Kasten gezählt werden, wo das Existenzrecht kaum noch zu benennen ist. Eine dieser bisher wenig beachteten Behausungen erregte jedoch, ohne dass ich dafür einen besonderen Grund ausmachen konnte, allmählich meine Aufmerksamkeit. Während ich anfänglich beim Vorbeigehen diese Bleibe eher lediglich aus den Augenwinkeln heraus wahrnahm, so änderte sich dies jedoch von Tag zu Tag. Ein merkwürdiges Interesse an ihr und an ihrem Bewohner, den ich bisher noch nie zu Gesicht bekommen hatte, entstand. Ich fragte mich, was das wohl für ein Mensch sei, der neben dieser von wahnwitziger Betriebsamkeit erfüllten Hauptstraße, seine Bleibe gefunden hatte? Eines Tages blieb ich davor stehen. Zwischen einem Schutthaufen und einem Bäumchen, welches um sein Überleben zu kämpfen schien, befand sich ein kleiner, stets säuberlich gefegter Platz, aus dessen Mitte heraus sich ein kleines, zeltartiges Etwas erhob. Über eine waagerechte hölzerne Stange, die beidseitig jeweils von zwei Stöcken getragen wurde, spannte sich eine Plane aus schmud- deligen, auseinandergeschnittenen Zementsäcken, einigermaßen zusammengehalten von groben Stricken aus Kokosfasern. Dieses Gebilde mochte vielleicht notdürftig vor Staub und Regen schützen, ganz sicherlich aber nicht vor der unstillbaren Neugier einer Horde von Affen, die auch an dieser Stelle hier immer wieder mal auf der Suche nach Essbarem auftauchte. Die beiden Dreiecke des Einganges bewegten sich leicht im Wind, offenbar befand sich jemand im Zelt. Als der Wind ein wenig auffrischte und dadurch etwas mehr Einblick in die Behausung freigab, streckte ich mich ein wenig, um etwas mehr von ihrem Inneren zu erhaschen. Doch in dem Moment schob sich langsam ein gebeugter Kopf hervor. Leicht erschreckt, und mit einem Anflug von beschämendem Voyeurismus, wandte ich mich ab und verließ rasch den Ort, dabei noch recht froh darüber, dass der Mann mich offensichtlich nicht wahrgenommen hatte. Auf meinem Nach- hauseweg gestand ich mir eine gewisse Neugier ein, die ich an dem Bewohner dieser schäbigen Behausung gefunden hatte - was mich schon ein wenig erstaunte, denn Bettler scheinen in diesem Land allgegenwärtig zu sein, und nicht selten hat man auch schon mal Mühe, sie auf Abstand zu halten. Ausgehend von dem flüchtigen Eindruck, den ich kurz zuvor gewinnen konnte, ging ich davon aus, dass es sich um einen Mann mittleren Alters handeln musste. Nun, ich war mir sicher, ich würde ihn schon noch zu Gesicht bekommen! In den folgenden Tagen stellte ich auf meinem morgendlichen Nachhauseweg jeweils einen kleinen Beutel mit Obst vor den Eingang seiner Behausung. Das machte ich nicht ganz ohne Hintergedanken, denn ich wollte ihm begegnen, ihn sehen. Die Tage vergingen, vormittags stellte ich den Plastikbeutel ab, um einige Stunden später festzustellen, dass er verschwunden war und alles andere genau so aussah wie zuvor, einschließlich der losen sich leicht bewegenden beiden Dreiecke des Zelteingangs. Alles war wie am ersten Tag meiner flüchtigen Wahrnehmung, fast, als wäre in diesem kleinen Eckchen des Universums die Zeit stehen geblieben! Ich bekam den Mann einfach nicht zu Gesicht! Wie konnte das denn sein, erkannte mich dieser Mann schon von weitem und versteckte sich dann vor mir, oder hatte er mein heimliches Ansinnen bereits erkannt, mich längst durchschaut, oder spielte er gar ein Spiel mit mir? Wie viele Tage waren inzwischen vergangen? Das Interesse an der mich anfangs so fesselnde Situation hatte inzwischen bereits abgenommen. Wieder befand ich mich auf dem Nachhauseweg. Während ich meinen Gedanken nachhing, wurde mir plötzlich bewusst, dass ich vergessen hatte, Obst für den Mann zu kaufen, und im gleichen Moment erblickte ich - endlich, diesen Mann! Mit weitausholender Armbewegung winkte er mir aufgeregt zu, um mir zu verstehen zu geben, dass ich zu ihm kommen sollte. Meine Schritte wurden schneller, verlangsamten sich jedoch bis zur Zögerlichkeit, als ich kurz vor ihm stand und ihn in Gänze wahrnahm. Etwas befangen lächelte ich ihm zu, in Erwartung dessen, was er offensichtlich von mir wollte. Er dagegen wirkte mit seinem vor Freude strahlendem Gesicht, als hätte er einen seiner liebsten und vertrautesten Menschen nach langer Zeit endlich wiedergetroffen. So standen wir uns lächelnd und schweigend gegenüber. Auch wenn das vermutlich nur einige Sekunden waren, erschien mir dieser Augenblick sehr viel länger. Denn je länger ich in dieses Gesicht schaute, wurde mir bewusst, wie ebenmäßig und schön es gestaltet war. Die braune Haut, in der Abendsonne leicht bronzefarbig, bildeten zu den mir schon fast unnatürlich strahlenden Augen einen wunderschön anzusehenden Kontrast. Unwillkürlich stieg in mir die Frage auf, ob dieser Mann vor mir überhaupt ein Bettler ist, und falls nein, wie sollte denn ein Mensch aussehen und wohnen, um von mir als Bettler erkannt zu werden? Erschien mir vielleicht seine Kleidung nicht verschlissen genug? Die Szenerie verwirrte mich. Doch ehe ich weiter über diesen Unsinn nachdenken konnte, wies der Mann mit einer Armbewegung und einem freundlich forderndem „Come, come, sit, sit“ auf einen Mauerstein. Zögernd setzte ich mich auf den Stein. Hinter mir donnerte ein LKW vorbei, und als sei das noch nicht genug an Lärm, folgte unerträglich laut hupend bereits der nächste. Doch trotz all dem, meine Aufmerksamkeit wurde mehr und mehr von der Emsigkeit des Mannes angezogen, der sich ganz offensichtlich auf diesen Augenblick vorbereitet haben musste! Ich war gespannt darauf, was jetzt folgen würde. Inzwischen hatte er ebenfalls auf einem Stein Platz genommen und mit einem Griff hinter sich ein kleines Harmonium hervorgezogen. Mehrfach seine Sitzhaltung korri- gierend, positionierte er die linke Hand auf den Hebel des auf der Rückseite angebrachten Blasebalgs, und die Rechte auf den Tasten. Es folgte ein kurzer Moment des Innehaltens, der Sammlung, bevor er den Kopf leicht in den Nacken legte und die Augen schloss. Der Mann begann zu singen und um mich herum erstarb die lärmende Welt! Ein Bettler hatte offensichtlich das Bedürfnis mir etwas zurück geben zu wollen, und weil er nichts an Materiellem besaß, was er mir hätte schenken können, beschenkte er mich jetzt mit seiner Musik und seinem wunderbaren Gesang! Und während mir das bewusst wurde, nahm ich auch plötzlich gewahr, dass den Händen des Mannes die Finger fehlten! Er besaß keine Finger, und dort wo seine schmalen Arme endeten, wölbten sich eine Art kleine Fäuste, von denen die Rechte abwechselnd mal nach links und rechts über die Tasten rollte, da er ja nicht in der Lage war einzelne Tasten zu spielen! Der Gesang hatte sich inzwischen zu einem Crescendo gesteigert. Die Augen noch immer geschlossen, war der Mann offensichtlich ganz in seiner Musik aufgegangen, als sei er und seine Musik Eins geworden! Die Erkenntnis, von einem Bettler beschenkt zu werden, die Wahrnehmung der gesamten Szenerie, rührte zutiefst meine Seele! Eine Mischung aus Scham und stiller, seliger Ergriffenheit, ja Freude, durchströmte mein Herz, mein ganzes Sein. Die Kehle wurde mir eng, ich kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen. Und mit einem Male begriff ich: dieser Mann vor mir, der besaß das, wonach ich seit Jahren auf der Suche war, und dafür bereits um die ganze Welt gereist war. Das, was aus seinen Augen heraus bis in mein Herz gestrahlt hatte, trug er bereits in sich! Wer also von uns Beiden war der Bettler!? Von diesem Gedanken wurde mir fast schwindelig. Oh, könnte sich doch die Erde auftun und ich darin verschwinden! Als hätte der Mann meinen stillen Schrei vernommen, verstummte mit einem Male sein Gesang. Freundlich lächelnd schaute mich der Mann an. Wie mochte ich ihm jetzt wohl erschienen sein? Ich legte meine Hände zum stillen Gruß gegeneinander, verbeugte mich tief und ging rasch davon. Das Schicksal wollte es, dass wir uns nie wiedergesehen haben. Nach etlichen Wochen, als ich erneut an diesem Platz vorbeikam, erfuhr ich, dass eines Tages, völlig überraschend, der gesamte Seitenstreifen zum Zwecke der Straßenverbreiterung geräumt worden war. Mehrfach erkundigte ich mich bei den Nachbarn über den Verbleib der Menschen, des Bettlers. Doch niemand konnte mir Auskunft über ihn geben. Ich hatte den Eindruck, dass man es auch eher amüsant zur Kenntnis nahm, dass sich ein Westler nach dem Verbleib eines Bettlers erkundigte. U. Maya
Über die Künstlerin Ausstellungen Impressum Kontakt Empfehlungen Buch- Bildergalerie StringART Was ist Start